Sonntag, 18. Mai 2014

Planet of the chicks (Teil 2)

Charly saß in der Küche und mühte sich, seine in die Jahre gekommene Nachttischlampe mittels Schere, Messer und Alufolie wieder fit zu machen. Sie lag geöffnet vor ihm, während ihm sein Freund Maik Tipps gab, die sich sowohl darauf bezogen, was er machen sollte, als auch darauf, was er nicht machen solle.
„Den grünen und den blauen Draht solltest du nicht verbinden“, sagte Maik.
„Wieso nicht? Außerdem ist hier gar kein blauer. Nur ein roter.“
„Dennoch solltest du lieber Lötkolben, Schraubenzieher und Zange nutzen“, sagte Maik.
Charly hatte das Gefühl, diese Situation bereits erlebt zu haben. Die vage Erinnerung an eine Hodenschwellung und dem Geruch von Rind mahnte ihn zur Vorsicht.
„Raum-Zeit-Kontinuum?“, frage Charly vorsichtig, als er den roten und den grünen Draht verbunden und den Stecker in die Steckdose gesteckt hatte. „Puff!“, antwortete Maik, als er aufgrund einer plötzlichen und punktuellen Entladung von einer Million Watt an Wärmeenergie ebenso plötzlich verpuffte.

Charly hörte ein Rauschen. Gleichmäßig. Beruhigend. Kälte kroch unter seinen Morgenmantel, den er stets trug, wenn er in seiner Wohnung war und keinen Besuch hatte. Von Maik abgesehen. Der war so oft bei ihm, dass er mehr Inventar war als ein Besucher. Maik war kein geschickter Haushälter und hatte stets kein Bier mehr, wenn er welches wollte. Charly schon. Ob er wollte oder nicht. Das Gleiche galt für Tabak, Butter, Brot, Fernsehzeitungen, Chips, Barschaft, Freundinnen und Verstand. Mit allem außer den letzten drei konnte Charly ihm stets aushelfen. Die feuchte Kälte kroch tiefer zu Charly, um die Wärme seines Körpers, der dem des jungen Charlton Heston nicht unähnlich war, mit großen Happen zu verzehren. Ein Schaudern durchfuhr Charly. Er öffnete die Augen und erblickte ein sich vor ihm ausbreitendes Meer. Salziges Wasser, das sich an nahen Felsen brach, spritzte Wassertropfen zu ihm herüber und benetzte seine Lider und Lippen mit salziger Kühle. Charly zuckte mit den Augen.
Langsam richtete er sich auf und bewegte sich barfüßig über den feuchten Sand, der ihn mit jedem Schritt an der Sohle kitzelte. Ein Glück hatte er nie auf Maik gehört, in der Wohnung seine Pantoffeln anzuziehen. Dieses wundervolle Gefühl wäre ihm entgangen. Vor ihm die entspannende Stille des gleichmäßig rauschenden Wassers, hinter ihm die Geräusche des den Strand umsäumenden Waldes. Vogelzwitschern. Ein Käutzchen, rufend in weiter Ferne. Dann das Geräusch eines zerbrechenden gewaltigen Astes. Nur wenige Meter hinter ihm. Ruckartig drehte Charly sich um und blickte in die roten Augen eines wutschnaubenden Huhns von drei Metern Höhe. Charly ließ sich rückwärts fallen, strampelte sich mit den Beinen von dem Monstrum weg, das in diesem Moment einen ebenso großen Schritt nach vorne machte und seinen zahnbewehrten Schnabel öffnete, der gewiss Charly Oberkörper völlig hätte fassen können. Charly hob die Arme zum Schutz. Der medizinballgroße Kopf des Haushuhns - Es musste so heißen, stellte Charly fest, denn es war so groß wie ein Haus oder mehr eine Gartenhütte, also eigentlich ein Gartenhüttenhuhn, doch wer hatte schon in einer todesnahen Sekunde so viel Zeit, über den richtigen Namen nachzudenken – auf ihn niederschoss. Dann ein Schuss, der während das Huhn niederschoss, selbiges niederschoss. Wer schoss soeben, fragte sich Charly, als das Huhn neben ihm zu Boden schoss. Um eins Klar zu stellen, nein, das Huhn schoss nicht selbst. Es wurde erschossen, und zwar von einem mit Lendenschurz gekleideten Großwildjäger, der in diesem Moment aus dem Dickicht trat. Er hatte auffällige Ähnlichkeit mit einem etwas älteren Charlton Heston, was zu einem sehr verwirrenden Moment führte, als Charly und Charles, wie der Großwildjäger hieß, einander in die Augen blickten. Bevor sie einander jedoch anblickten, sagte Charles: „Out of my dead cold hands“, riss sein großkalibriges Gewehr einarmig in die Höhe und spuckte auf den toten Kadaver des Gartenhüttenhuhns, das so zu benennen Charly nunmehr die nötige Zeit fand.
„Was zum Teufel war das?“, fragte er mit Blick auf das erlegte Tier.
„Que?“, sagte Charles, der trotz seines ersten Ausspruchs nur französisch sprach. Im Folgenden hören wir den Dialog der Einfachheit halber übersetzt.
„Häh?“, sagte Charles also, und Charly fragte nochmals, was zum Teufel das war.
„Ein Huhn?“, antwortete Charles, und damit war vorerst alles gesagt.

Gemeinsam gingen beide zu Charles nahe gelegener Waldhütte. Wie Vater und Sohn. Nebeneinander. Charles war jedoch nicht Charlys Sohn. Er war ein Urenkel in der fünftausendsten Generation. Das würden sie jedoch nie erfahren, denn als Charles die Tür zu seiner Jagdhütte aufschloss, wurde selbiges samt Charles vom Fuß eines riesigen Haushuhns zertreten. Das Haushuhn, wie sich später nie herausstellen sollte, das Muttertier zum erlegten Gartenhüttenhuhn, nahm Rache. Vor Erregung legte es ein Ei, das unerbittlich auf Charly zurollte, ganz ähnlich wie diese Szene aus Indiana Jones 1, als Indy von diesem Felsbrocken im Tunnel verfolgt wird. Nur ohne die dramatische Musik. Dafür mit Hühnergegacker. Das Ei verfolgte Charly bis zum Meer, wo er stolperte und von ihm überrollt worden wäre, wenn er nicht zeitgleich über seine Nachttischlampe gestolpert wäre, die ihn in letzter Sekunde zurück in seine Zeit und an seinen Küchentisch katapultiert hätte. In der Luft hing eine feuchte Wolke, die aussah wie Maiks Gesicht. Sie schaute verwundert. Und Charly beschloss von nun an weniger Huhn zu essen. Dafür mehr Fisch.

Verpassen Sie nicht die nächste Folge, wenn Charly beim Versuch, seinen Mixer zu reparieren, wieder weit, weit in die Zukunft katapultiert wird und vom Schicksal nass gemacht wird, auf dem „Planet oft the Fish“.

Teil 1 - Planet of the Cows

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