Freitag, 7. August 2015

Siebenunddreißigster Schritt: Plastic Diary, schwarz auf weiß, und sich vertiefen

Wetterauer Zeitung vom 3.8.2015
Als vor kurzem ein Redakteur der Wetterauer Zeitung bei mir anrief, um einen Artikel über meine Erfahrungen im Plastik-Sparen zu schreiben, war ich überrascht und geschmeichelt zugleich. Ein paar Tage später sollte mein Vortrag in Friedberg stattfinden, und meine Erwartungshaltung war lediglich, dass in der Lokalpresse ein kurzer Veranstaltungshinweis gedruckt würde. 
Wir trafen uns an einem Montagabend bei bestem Sommerwetter bei mir im Garten, er schaltete sein Handy als Diktiergerät ein und wir plauderten eine knappe Stunde über Plastik in der Umwelt, in der Nahrung und im Körper. Heraus kam ein wirklich schöner Artikel, der viel Resonanz brachte, positive wie auch kritische. 

Einige der kritischen Stimmen möchte ich hier im Blog beantworten, da ich sie für interessante Denkanstöße halte.




Ist es nicht interessant, dass die rasante Verlängerung der Lebenszeit von Menschen in die gleiche Zeit fällt, in der die Kunststoffe sich auf allen Ebenen ausgebreitet haben?
Ich spreche dem Kunststoff u. a. in der Medizin in keiner Weise seinen Nutzen ab. Auch spreche ich Kunststoffrohren gegenüber Bleirohren zum Wassertransport einen definitiv geringeren lebensverkürzenden Charakter zu, doch aus einer Korrelation einen Kausalzusammenhang abzuleiten ist ein logischer Fehler, denn andere Faktoren, wie die Reduktion körperlichen Stresses, bessere medizinische Versorgung, bessere hygienische Bedingungen und eine bessere Ernährungssituation haben ebenfalls eine Anteil daran, dass sich die Lebenserwartung seit Jahrzehnten erhöht. Ohne Plastik wäre vieles nicht möglich, doch sich durch den Verdienst in einigen Bereichen einen Freibrief zum gedankenlosen Umgang mit Plastik und Plastikmüll auszustellen, wäre über das Ziel hinausgeschossen. Nur weil Skorpiongift bei Gehirntumoren hilfreich ist, halte ich mir dennoch keine Skorpione als Kuscheltier im Haus.


Die PET Flasche gibt minimal Acetaldehyd ans Getränk ab. Mit einem Apfel isst Du die 100fache Menge von dieser natürlichen Substanz. Aber: Dir ist das zu gefährlich? Iss bloß keinen Apfel mehr!
Plastikverpackungen geben eine Reihe von bedenklichen Stoffen an die Nahrung ab: Bisphenol A, Phtalateund auch Acetaldehyd sind einige dieser Stoffe. Grenzwerte wurden für die Genannten von der EU festgelegt, über die hinaus kein Übertrag der Umverpackung an die Nahrung stattfinden darf. Diese Grenzwerte bestehen einerseits aufgrund der potentiell hormonellen, karzinogenen bzw. leberschädigenden Wirkung und andererseits aufgrund der uneindeutigen Human-Studienlage, will sagen: Die EU und das BfR gehen auf „Nummer Sicher“. Ich kann nichts Schlechtes daran erkennen, bestrebt zu sein, möglichst wenig davon aufzunehmen. Was den natürlichen Gehalt in Obst und Gemüse angeht, schreibt das BfR: „Bei der Messung des Acetaldehydgehalts von Lebensmitteln lässt sich nicht beurteilen, ob die gefundenen Gehalte auf ein natürliches Vorkommen oder auf einen Zusatz zurückzuführen sind.“ (Gesundheitliche Bewertung von Acetaldehyd in alkoholischen Getränken, aktualisierte Stellungnahme Nr. 022/2010 des BfR vom 04. Mai 2010). Insofern mögen nicht verarbeitete Äpfel ein anderes Ergebnis mit sich bringen als beispielsweise verarbeitete Apfelsäfte. Gärstoffuntersuchungen beim Apfel sprechen eher dafür, dass der Gärprozess bei der Lagerung von Äpfeln Acetaldehyd entstehen lässt. Darüber hinaus darf auch das Zusammenspiel mit weiteren sekundären Pflanzenstoffen (Flavonide, Vitamin E, Antioxidantien), die eine senkende Wirkung auf den Acetaldehydspiegel haben, nicht unberücksichtigt bleiben. Mineralwasser aus PET-Flaschen beinhalten im Gegensatz zu Obst und Gemüse definitiv keine Stoffe, die die mögliche Schadwirkung des Acetaldehyds auszugleichen vermögen. Insofern halte ich den Verzehr von Äpfeln für unkritisch. „An apple a day, keeps the doctor away“ wird wohl weiterhin Devise bleiben dürfen ;-)


Die Blechdosen (für Getränke) enthalten eine Innenbeschichtung aus Kunststoff. Warum wohl: Das Blech und seine von Nahrungsmitteln herausgelösten Bestandteile erscheinen den Gesundheitsbehörden gefährlicher als die Beschichtung mit wenige ppm Bisphenol A enthaltende Epoxiharze. Und Glas setzt Stoffe an Getränke frei, über die man sich im Internet informieren kann.
Die Kunststoffbeschichtung dient als Korrosionsschutz und nicht dazu, vor noch gefährlicheren Stoffen als Bisphenol A zu schützen. Ganz gleich jedoch, vor welchen Stoffen mehr Schutz nötig ist, auch Blechdosen vermeide ich. Nicht nur wegen der Plastikbeschichtung. Heutzutage ist es schlichtweg mehr nötig, Nahrungsmittel in Dosen zu erwerben. Warum sollte ich beispielsweise Dosengemüse kaufen, wenn ich das Gemüse auch unverpackt auf dem Bauernmarkt oder selbst im Supermarkt erwerben kann? So muss weder eine Dose hergestellt, noch recycelt werden, und ganz gleich welcher Giftstoff woher auch immer kommen mag, zu mir kommt er nicht.
Dass Glas Stoffe an Getränke freisetzt, konnte ich nirgendwo im Internet recherchieren, jedoch das Gegenteil.


Die Verbrennung von 5.000 Tonnen Müll, der von allen Kunststoffen mühsam befreit worden ist, ergab an der Hamburger Müllverbrennungsanlage Stellinger Moor die gleichen Dioxin-Emissionen wie  normaler Müll mit allen Kunststoffen. Deshalb hat heute jede MVA eine spezielle Reinigungsstufe dafür. Dioxinschleudern sind heute dagegen die Elektroschmelzwerke für Eisen und Stahl – also das Eisenrecycling.
Richtig, in Deutschland sind Dioxine, Furane und andere Giftstoffe durch die gesetzlich vorgeschriebene Filterung ein geringeres Problem als noch vor einigen Jahren. Das funktioniert so gut, dass Deutschland sogar fremden Müll importiert, um ihn zu verbrennen. Das ist fragwürdig, wirft es nämlich die Frage auf, welchen Stellenwert das Recycling künftig erhält, wenn Verbrennen so lukrativ ist und wir bereits jetzt mehr Müll verbrennen als wir entstehen lassen. Doch auch die Verbrennung hinterlässt Rückstände (Schlacke, Flugasche und Filterstäube), die dann als Baumaterial oder Bergversatz „entsorgt“ werden. Das Problem wird also letztlich nur verlagert. Ganz davon abgesehen, ist der Filterprozess energie- und resourcenaufwändig. Besser wäre es doch, den Müll so weit wie möglich gar nicht erst entstehen zu lassen, denn wenn nichts zu verbrennen da wäre, gäbe es gar nicht erst die Notwendigkeit, Schadstofffilter nutzen zu müssen; ganz gleich ob es Plastik- oder Restmüll ist. Die Menge macht’s.


Schon die alten Griechen und Ägypter nutzten das Harz des Styrax Liquidambar Orientalis, eines Strauches, der im Mittelmeerraum wächst. Es enthält jede Menge Styrol, das im Sonnenlicht und bei Wärme zu hartem Polystyrol polymerisiert. Aus dem Harz des Styrax-Strauches wurden Schmuckstücke hergestellt und die Salben für die Einbalsamierung der ägyptischen Pharaonen und die Wundsalben des Mittelalters und  --- ein großer Sprung   ---- die Joghurtbecher von heute. Erdöl, Kohle und Gas sind das Ergebnis untergegangener Wälder, deren natürlich enthaltene Stoffkomponenten können wir heute trennen (in den Erdölraffinerien) und zu den fälschlicherweise so bezeichneten „Kunststoffen“ polymerisieren. Eigentlich ist das alles nur ein zeitgeschichtliches Recycling. Das unglückliche Wort Kunststoff verleitet dazu, alle daraus hergestellten Erzeugnisse als unnatürlich, schädlich, anzusehen.
Da widerspreche ich, wenn Plastik seine Unnatürlichkeit abgesprochen werden soll. Erdöl war kein Teil des natürlichen Kreislaufes mehr. Alles Erdöl war tief in den unteren Erdschichten verborgen, bis wir es zu Tage förderten, es uns in hochkomplexen Prozessen dienbar machten und es so für hunderte von Jahren wieder in die Umwelt einbrachten, verbunden mit unzähligen teils toxischen Stoffen, die die Natur nie von selbst hervorgebracht hätte. Wir hätten heute kein CO2-Problem durch die Verbrennung von Plastikmüll, wenn all der Kohlenstoff noch gebunden im Erdöl in den Tiefen lagern würde. Und wir hätten keine 269 Millionen Tonnen Plastikmüll im Meer.


Der Plastikmüll in den Meeren stammt doch überhaupt nicht aus Deutschland. Was bringt es, wenn wir Müll reduzieren und andere Länder ihre Müllberge weiter vergrößern?
Es stimmt, dass gerade der Müll in den Meeren mehrheitlich nicht aus Europa stammt. Es sind zumeist die afrikanischen und asiatischen Küstenländer, die für die bis zu 13 Millionen Tonnen Müllverantwortlich sind, die jährlich in den Meeren landen. Andererseits haben wir mit einem Pro-Kopf-Abfallaufkommen von 617 kg im Jahr 2013 einen unrühmlichen vierten Platz unter den 28 europäischen Staaten und liegen fast 30 % über dem Mittelwert. Auch wenn wir die Meere nicht direkt belasten, haben wir doch einiges an Verbesserungspotential.

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